Siegfried Aufhäuser – Gewerkschaftsführer, Politiker, Antifaschist

Siegfried Aufhäuser © LBI

Siegfried Aufhäuser (1880–1969) war ein sozialistischer Politiker und Gewerkschaftsfunktionär in der Weimarer Republik. Als überzeugter Demokrat und entschiedener Gegner des Nationalsozialismus engagierte er sich für die Rechte von Angestellten und war Mitbegründer des Allgemeinen freien Angestelltenbundes (AfA-Bund), als dessen Vorsitzender er von 1921 bis 1933 fungierte. Ab 1920 saß er als Abgeordneter der USPD, später der SPD, im Reichstag und galt dort als führender Vertreter der gewerkschaftlichen Linken. Nach der Machtübernahme Hitlers emigrierte er zunächst nach Prag, später in die USA. Nach seiner Rückkehr setzte er sich insbesondere für die Rechte der Angestellten und die der Arbeiter:innen ein.

Christian Zech, Jahrgang 1983, absolvierte ein Studium der Politikwissenschaft, Geschichte und Kommunikationswissenschaften an den Universitäten Mannheim und Hamburg. Zu seinen Veröffentlichungen zählen unter anderem Arbeiten zu Themen des Exils, der Pressegeschichte sowie zur Geschichte von Unternehmen und Genossenschaften, daneben auch mehrere biografische Studien. Seit 2025 ist er Vorstand und Geschäftsführer der Historiker-Genossenschaft eG.

Lutz Vössing sprach mit Christian Zech über das Leben und die Arbeit Aufhäusers für die Demokratie.

Was hat ihr Interesse an Siegfried Aufhäuser geweckt?

Auf den Namen Aufhäuser stieß ich das erste Mal bei Recherchen zur deutsch-jüdischen Zeitung »Aufbau«, die ab 1934 in New York erschien. Siegfried Aufhäuser war dort zeitweise der stellvertretende Redaktionsleiter: Im Nachlass des Chefredakteurs Manfred George fand ich Briefe, in denen er Späße machte und mit humorvollen Worten über den zeitgenössischen Redaktionsalltag berichtete. Später recherchierte ich zu gewerkschaftlichen und sozialistischen Gruppen im Exil und immer wieder tauchte auch hier sein Name auf. Oft ging es dabei um Konflikte, Kontroversen, um theoretische Debatten oder Konzepte. Er wurde in diesen Kontexten als zurückhaltend, ernst und streitbar charakterisiert. Diese Ambivalenz machte mich neugierig.

Was für einem Umfeld entstammt er?

Er stammte aus einer bürgerlichen Familie und wuchs in Augsburg auf. Sein Vater arbeitete in einem Zigarren- und Spirituosengeschäft, das die Mutter von Siegfried Aufhäuser anteilig geerbt hatte. Die Eltern waren einem Bericht zufolge beide in jüdisch-orthodoxen Familien aufgewachsen, hatten die religiöse Erziehung von Siegfried und seinen drei Geschwistern aber undogmatisch gehandhabt.

Hat seine Herkunft und frühe Ausbildung seine politische Ausrichtung und das spätere Engagement in der Arbeiterbewegung beeinflusst?

Das Engagement für die Sozialdemokratie und die Gewerkschaftsbewegung war bei ihm nicht unbedingt familiär vorgezeichnet. Als drittes von vier Kindern zog er nach der Volks- und der Handelsschule dann aber nach München, wo er eine Lehre als Kaufmannsgehilfe absolvierte. Und eben dieses Berufsfeld war zu der Zeit gerade im Umbruch: Wo die Anstellung als Kaufmannsgehilfe früher der erste Karriereschritt zum Unternehmer war, wurde die Beschäftigungssituation nun von mangelnden Aufstiegsmöglichkeiten und sich wandelnden Arbeitsbedingungen geprägt. In der Konsequenz begann er sich zu organisieren. Er fand Zugang zu einem Berufsverband, der bald auch gewerkschaftliche Forderungen aufgriff.

Können Sie dazu mehr erzählen? Wie kam er dann in die Politik?

Siegfried Aufhäuser war ab 1903 im Verein der Deutschen Kaufleute aktiv und dort überaus engagiert. Nach seinem Umzug nach Berlin stieg er in der verbandsinternen Hierarchie schnell auf. Als sich 1908 in der Hauptstadt eine kleine liberale, bürgerliche Partei gründete, die sich explizit auch für die Belange der Angestellten einsetzte, trat er dort ebenfalls bei. Zu den Mitgliedern der »Demokratischen Vereinigung« zählten seinerzeit auch Tony und Rudolf Breitscheid, Hugo Sinzheimer u.a. Die Partei war bei Wahlen nicht sonderlich erfolgreich und stellte während des Ersten Weltkriegs ihr Engagement ein. Siegfried Aufhäuser wiederum trat gegen Kriegsende der USPD bei. Er folgte damit seiner Ehefrau Anna, geborene Stein, die seit 1904 in der Sozialdemokratie aktiv war und sich im Zuge der Parteispaltung der USPD zuwandte. 1922 schlossen sich beide der wiedervereinigten SPD an. Seit 1921 war er Mitglied des Reichstags.

Welchen Einfluss hatte seine Frau Anna auf seine politische Arbeit?

Einen erheblichen. Anna Aufhäuser war sechs Jahre älter als ihr Ehemann, gewerkschaftlich engagiert und schon lange vor ihm für die SPD aktiv. Mehrere Quellen deuten darauf hin, dass in der Familie kontrovers diskutiert und Entscheidungen gemeinschaftlich gefällt wurden. Das gilt etwa für die Flucht 1933, aber auch für die Frage nach der Remigration. Anna Aufhäusers Einfluss auf die politische Entwicklung ihres Ehemanns zeichnet sich an vielen Stellen ab – allerdings oftmals als versteckter Hinweis. 
Hier zeigt sich ein Problem, das bei der Fokussierung auf einen männlichen Akteur häufig auftaucht: Quellen schweigen sich darüber aus, wie der unmittelbare familiäre, nicht-männliche Nahbereich die biografische Entwicklung beeinflusste. Überhaupt ist die Quellenlage dürftig: Von und über Siegfried Aufhäuser gibt es zwar zahlreiche Zeitungsartikel und -berichte und auch Anna Aufhäuser war anfangs in der Presse präsent – sie trat zum Beispiel 1914 als Referentin anlässlich des Internationalen Frauentags auf. Allerdings zog sie sich nach der Hochzeit und der Geburt der gemeinsamen Tochter, vermutlich zugunsten der Karriere ihres Mannes, aus der Öffentlichkeit zurück. Es finden sich kaum mehr Hinweise zu ihrer Person. 
Im Übrigen hat auch die Tochter wichtige Impulse gesetzt: Als sie 1934 als 17-Jährige nach Palästina emigrierte, begann Siegfried Aufhäuser kurze Zeit später, sich intensiv mit der dortigen Gewerkschaftsbewegung auseinanderzusetzen.

Aufhäuser hatte eine bemerkenswerte Karriere als Gewerkschaftsführer und Sozialdemokrat. Was würden Sie als seine wichtigsten politischen Erfolge hervorheben?

In einem Interview kurz vor seinem Tod hob er die Erfolge im Bereich der Sozialpolitik und der Sozialversicherung während der Weimarer Republik hervor. Besonders stolz war er darauf, 1920 gemeinsam mit Carl Legien zum erfolgreichen Generalstreik gegen den Kapp-Putsch aufgerufen zu haben.

Aufhäuser war in diesen Bereichen überaus engagiert und politisch erfolgreich. Darüber hinaus hat sein Wirken entscheidend zur gewerkschaftlichen Organisierung und zur Politisierung der Angestellten beigetragen. Außerdem möchte ich auf sein beharrliches Eintreten für eine Demokratisierung der Wirtschaft hinweisen. Er hat dieses Thema, das bis heute kontrovers diskutiert wird, auf verschiedenen Ebenen entscheidend mitgeprägt.

Der Siefried-Aufhäuser-Platz an der S-Bahnhaltestelle Sonnenallee © Wikipedia
S. Aufhäuser. Quelle unbekannt.
S. Aufhäuser. Quelle unbekannt.

Was konnte er da bewirken?

Hier wären etwa das Arbeitsgerichtsgesetz von 1926 sowie das Gesetz zur Arbeitslosenversicherung 1927 zu nennen, für deren Einführung er sich in den Jahren zuvor vehement eingesetzt hatte. Beide Gesetze prägen unseren Sozialstaat noch heute. Weniger erfolgreich war aus heutiger Perspektive die Initiative zum sogenannten »Umbau der Wirtschaft«. Aufhäuser hat dieses Programm, das 1932 von den freigewerkschaftlichen Gewerkschaftsbünden und auch von der SPD aufgegriffen bzw. übernommen wurde, initiiert und entscheidend mitgeprägt. Mit den darin enthaltenen Maßnahmen sollte die politische und wirtschaftliche Krise zum Ende der Weimarer Republik überwunden und zeitgleich der Aufstieg des Nationalsozialismus gestoppt werden. Wie wir wissen, scheiterte diese hoffnungsvolle Initiative.

Was die Politisierung der Angestellten angeht, so gelang es ihm, die freigewerkschaftlichen Angestelltenverbände in einem Dachverband zu sammeln, der eine konsequent gewerkschaftliche Stoßrichtung vertrat und die gemeinsame Interessenlage der Arbeiter:innen und Angestellten hervorhob. Dieser Zusammenschluss erwies sich auch für zahlreiche Angestellte als attraktiv, die sich andernfalls wohl den starken bürgerlichen Angestelltenverbänden zugewandt hätten.

Aufhäuser floh nach der nationalsozialistischen Machtübernahme nach Prag und später nach New York. Wie verlief sein Leben im Exil?

In den frühen 1930er Jahren hatte sich Siegfried Aufhäuser in der SPD-Führungsspitze etabliert. Noch im April 1933 wurde er in den SPD-Vorstand gewählt, musste jedoch wenige Tage später fliehen. Über Paris gelangte er im Herbst 1933 gemeinsam mit seiner Ehefrau Anna Aufhäuser nach Prag, wo er für eine tschechoslowakische Angestelltengewerkschaft arbeiten konnte. Außerdem betätigte er sich als Journalist. Nach dem Münchner Abkommen floh das Ehepaar über die Zwischenstation London im April 1939 nach New York. Dort fand er nach einer Weile eine Anstellung beim »Aufbau« und später bei der »New Yorker Staats-Zeitung und Herold«. Sein Verhältnis zum Exilvorstand der SPD war konfliktbehaftet; Anfang 1935 wurde er faktisch ausgeschlossen. Zwischenzeitlich war Aufhäuser bei den »Revolutionären Sozialisten« aktiv. Später näherten sich die Konfliktparteien wieder einander an: In den USA engagierte sich Siegfried Aufhäuser zeitweise als Co-Vorsitzender der »German Labor Delegation«, die in den USA die Belange des SPD-Exilvorstands vertrat.

Brief von Anna und Siegfried Aufhäuser an den Germanisten, Judaisten und Pädagogen Adolf Leschnitz © LBI
Brief von Anna und Siegfried Aufhäuser an Maria Leschnitzer, Literaturwissenschaftlerin und Ehefrau des Pädagogen und Germanisten Adolf Leschnitzer © LBI

Können Sie mehr über seine Rolle in der Sozialdemokratische Partei Deutschlands im Exil, der „SoPaDe“ und die politische Strömung des Volksfrontgedankens erzählen?

Hier muss ich kurz ausholen: Der Parteivorstand der SPD im Prager Exil wurde SOPADE genannt. Aufhäuser war Teil des Vorstands, jedoch kein besoldetes Mitglied, sondern unbezahlter »Beisitzer«. Zunächst betätigte er sich im Frühjahr 1933 in Paris im Auftrag der SOPADE. Als er dann im Herbst 1933 nach Prag übersiedelte, war er schnell enttäuscht, als Entscheidungen vermehrt ohne ihn getroffen wurden. Außerdem war er mit der politischen Linie der Vorstandsmehrheit nicht einverstanden. Das hing damit zusammen, dass sich die SOPADE zunehmend von den übrigen SPD-Mitgliedern im Exil entfremdete. Andere sozialistische Gruppen etablierten sich, die den Alleinvertretungsanspruch der SOPADE und ihren Zugriff auf die Parteigelder scharf kritisierten. Aufhäuser war ein Fürsprecher dieser Gruppen innerhalb der SOPADE gewesen. Anfang 1935 wurde er aus der SOPADE ausgeschlossen, in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre intensivierte sich die Zusammenarbeit aber wieder.

Natürlich gab es auch immer wieder Versuche, die politischen Kräfte im Exil zu bündeln. Besonders bekannt wurde der sogenannte »Lutetia«-Kreis in Paris, wo sich sozialdemokratische, kommunistische und bürgerliche NS-Gegner:innen als »Ausschuss zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront« zusammenschlossen. Die SOPADE hielt sich eher abseits. Siegfried Aufhäuser war in den Versuch involviert, eine solche Initiative auch in Prag zu initiieren.

Zu Beginn der 1950er-Jahre kehrte er zurück nach Deutschland. Wie engagierte er sich weiter?

Aufhäuser hatte schon unmittelbar nach Kriegsende den Kontakt nach Deutschland gesucht und vor seiner Rückkehr verschiedene Beschäftigungsoptionen sondiert. Wiederholt wurde ihm geraten, sich direkt vor Ort nach einer passenden Stelle umzusehen. Insofern war die Remigration auch beruflich eine Rückkehr ins Ungewisse.

In Berlin wurden ihm zunächst einige kleinere Arbeitsaufträge vermittelt und schließlich stellte ihn die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft ein. Als der Vorsitzende der Landesorganisation starb, wurde er 1952 zu seinem Nachfolger gewählt. Er füllte diese Funktion bis 1958 aus und bemühte sich besonders um eine Entspannung des Verhältnisses zum »konkurrierenden« DGB. Überdies war er im SPD-Landesverband aktiv, wo er wiederholt auf die Bedeutung der Angestellten für die volkswirtschaftliche Entwicklung und die Zukunft der Partei hinwies. Dort beteiligte er sich zudem an den programmatischen Debatten, die später zum Godesberger Programm führten. Außerdem suchten Anna und Siegfried Aufhäuser ab 1952 Kontakt zur Jüdischen Gemeinde Berlins. Bei den dortigen Repräsentantenwahlen kandidierte er etwa Ende der 1950er Jahre.

Aufhäusers Grab in Freiburg/Br.
© gedenktafeln-in-berlin.de
Aufhäusers Grab in Freiburg/Br. © gedenktafeln-in-berlin.de

Inwiefern bleibt sein politisches Engagement für heutige Gewerkschafter und Sozialdemokraten relevant? Was können wir aus seinem Leben und Wirken für die Gegenwart lernen?

Ich denke, dass der Blick auf Siegfried Aufhäusers dafür sensibilisieren kann, die Komplexität und Vielschichtigkeit gesellschaftspolitischer Entwicklungen und historischer Dynamiken besser nachzuvollziehen und die Offenheit des Moments zu veranschaulichen.

Siegfried Aufhäuser lenkte den Blick auf ökonomische Ungleichgewichte und setzte sich beharrlich für eine fundamentale politische und wirtschaftliche Demokratisierung ein. Auch in vermeintlich ausweglosen Situationen strahlte er Zuversicht aus und suchte nach pragmatischen Lösungen, um eigene Handlungsspielräume zu erweitern, ohne dabei seine idealistischen Ziele preiszugeben. Seine Versuche, demokratische Errungenschaften auszugestalten, sie mit Leben zu füllen und sich für deren Erhalt einzusetzen können auch heute als Inspiration dienen, um gegenwärtigen Herausforderungen zu begegnen.

Text: Lutz Vössing

Dieser Beitrag ist Teil der der Reihe »Engagement & Demokratie in der jüdisch-deutschen Geschichte«.

Siegfried Aufhäuser © LBI
Siegfried Aufhäuser © LBI