Hans Litten – Radikaler Kämpfer gegen den Hitlerfaschismus

Hans Litten © Hans-Litten.de

Hans Litten war ein bedeutender Anwalt und Widerstandskämpfer im nationalsozialistischen Deutschland. Geboren 1903 in Halle, wuchs er in Königsberg auf und entwickelte früh ein starkes politisches Bewusstsein. Bekannt wurde er vor allem durch seinen mutigen Einsatz gegen die Nationalsozialisten, insbesondere als er 1931 Adolf Hitler als Zeugen im Edenpalast-Prozess vor Gericht brachte. Zuletzt bekam er Aufmerksamkeit durch die Serie »Babylon Berlin«, in der Trystan Pütter den charismatischen Mann verkörperte.

Knut Bergbauer ist Sozialpädagoge und Mitarbeiter im DFG-Projekt »Zwischen Alija und Flucht« an der TU Braunschweig. Er forscht zur Jüdische Jugendbewegung in Deutschland, Geschichte der Arbeiterbewegung und zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Sein Promotionsprojekt befasst sich mit der »Jüdischen Jugendbewegung in Breslau 1912–1938«. 2022 veröffentlichte er gemeinsam mit Sabine Fröhlich und Stefanie Schüler-Springorum eine Biografie mit dem Titel: »Hans Litten – Anwalt gegen Hitler«.


Lutz Vössing sprach mit Bergbauer über die Person und Eigenart der Ausnahmepersönlichkeit Hans Litten.

Wie fanden Sie zur Beschäftigung mit Hans Litten?
Durch Zufall. Ich hatte den Namen schon im Hinterkopf, als ich auf eine Akte über den »Schwarzen Haufen« stieß. Zufällig habe ich dann auch die Biographien von Max Fürst gesehen und gelesen. Über Margot Fürst, die Hans Litten sehr nahestand, ergaben sich neues Material und Kontakte. Und über die Ausstellung zum »Schwarzen Haufen«, die Stefanie Schüler-Springorum und ich gemeinsam realisiert haben, kam die Frage auf, ob wir nicht gemeinsam die Biographie schreiben sollten. An dem Punkt kam auch Sabine Fröhlich, die sich für »Littologen« – also Menschen, die sich für Hans Litten interessiert haben – mit ins Boot.

Woher stammt Hans Litten? Aus was für einem Haus kam er?
Er kam aus einer bürgerlich bis großbürgerlichen Familie, die stark akademisch geprägt war. Geboren 1903 in Halle, aber aufgewachsen in Königsberg, in Ostpreußen. Der Vater deutschnational, die Mutter liberaler. Die mütterliche Linie, Mutter und Großmutter, waren vermutlich für das Interesse ihrer Söhne/Enkel für die Kunst verantwortlich. Der Vater war als Jude geboren, sein Vater war noch Gemeindevorsteher in Königsberg gewesen, Fritz Litten war jedoch zum Christentum konvertiert, um im preußischen Staat Karriere machen zu können. Er war Jurist, später Dekan der juristischen Fakultät der Universität Königsberg. Die Mutter Irmgard kam auch aus einer Akademiker-Familie, die evangelisch geprägt war.

Irmgard Litten mit Hans. Foto: hans-litten.de
Die drei Brüder Litten. Foto: hans-litten.de

Welche Rolle spielte seine Herkunft für seine Entwicklung als politischer Mensch?
Es gibt leider nur wenige authentische Zeugnisse, die den Bruch mit dem Vater (und allem wofür der Vater stand) detailliert nachvollziehbar machen. Aber es war wahrscheinlich die »Ur-Szene« von Hans Litten als politischer Mensch. Da war die Karriere-Taufe, wahrscheinlich auch dessen Abwesenheit im Ersten Weltkrieg und Fritz Littens autoritärer Charakter, der in der Pubertät zum Bruch führten. Die Suche nach »neuen Ufern« führte dann in Opposition zur Schule, den »Jüdischen Jugendverein« und zu den Ideen der Jugendbewegung.

Litten war Teil der Jugendbewegung »Schwarzer Haufen«. Was war das für eine Gruppe? Und welchen Einfluss hatte sie auf Litten?
Der »Jüdische Jugendverein« Königsberg, in dem sich Hans Litten und sein Freund Max Fürst kennengelernt hatten, hatte sich bald nach seiner Gründung – etwa um 1920/21, dem »Deutsch-Jüdischen Wanderbund –Kameraden«, dem größten nicht-zionistischen Jugendbund innerhalb der jüdischen Jugendbewegung angeschlossen. Die Frage müsste allerdings umformuliert werden: Welchen Einfluss hatte Hans Litten auf den »Schwarzen Haufen«? Denn er war, zusammen mit Max Fürst, der Initiator der Gruppe. Es handelte sich zunächst nur um eine Strömung innerhalb der »Kameraden«. Den Versuch, politische Fragen in den eigentlich unpolitischen Jugendbund einzubringen. Bis auf Ausnahmen hieß das zu dieser Zeit eine Positionierung hin zu Sozialismus/Kommunismus einzufordern. Damit stand der »Schwarze Haufen« (SH) allerdings in der jüdischen Jugendbewegung nicht allein. Auch zionistische Bünde waren damit konfrontiert. Der Rigorismus seiner Forderungen, aber auch die Angst vor Auseinandersetzungen mit der Elternschaft, brachten den »Schwarzen Haufen« schnell in Konfrontation mit der (bürgerlichen) Bundesleitung der »Kameraden«. 1927 wurde der SH aus den »Kameraden« geworfen, 1928 löste er sich auf. Es gab aber wohl noch kleine Gruppen, die bis 1929 weiter existierten.

Foto: hans-litten.de

Litten ist vielen vor allem ein Name, weil er Hitler vor Gericht brachte. Was war der Auslöser dafür?
Bei einer Auseinandersetzung im Berliner Edenpalast (in Charlottenburg) waren im November 1930 mehrere linke Arbeiter schwer verletzt worden. Angreifer waren SA-Männer, die eine Tanzveranstaltung gestürmt hatten. Dazu gehört jedoch eine Vorgeschichte: Spätestens ab Sommer 1930 begann die SA, Verkehrslokale in linken und antifaschistischen Wohnvierteln zu etablieren, so auch im »Kleinen Wedding« in Charlottenburg. Man begann zu provozieren und nachdem die NSDAP bei der Septemberwahl 1930 hohe Stimmengewinne verzeichnen konnte, versuchte die SA zunehmend, die Straßen und Viertel auch zu »erobern«. Der Angriff auf den Edenpalast war einer der frühesten Versuche und wurde auch deswegen in der Presse deutlich wahrgenommen. Ein weiterer Aspekt: Hitler hatte schon im sogenannten Ulmer Reichswehrprozess, im September/Oktober 1930 vor dem Reichsgericht in Leipzig, einen Legalitätseid geschworen, d.h. beeidet, dass die NSDAP nur auf legalem Weg zur Macht gelangen wolle. Die Situation im Mai 1931, als Hans Litten im Edenpalast-Prozess Hitler als Zeugen für die Gewalttätigkeit der vorladen ließ, war allerdings komplexer als dessen Auftritt vor dem Reichsgericht. Verschiedene Berliner SA-Stürme begannen zunehmend unzufrieden mit der »Legalitätstaktik« der NSDAP zu werden, erst im April 1931 hatte es durch Gruppen um den Berliner SA-Führer Walter Stennes einen Putsch gegeben, der allerdings noch niedergeschlagen werden konnte. So fand der Prozess vor einer interessierten Öffentlichkeit statt und Hans Litten wurde nach dem Prozess zu einem vorrangigen Hassobjekt der Nationalsozialisten.

Mit wem arbeitete Litten zusammen? Wie war er organisiert?
Zum einen arbeitete Hans Litten in einer Anwalts-Sozietät mit Ludwig Barbasch zusammen. Barbasch war radikaler Sozialist, genauer Rätekommunist, 10 Jahre älter als Litten und schon seit der Novemberrevolution politisch aktiv. Die Sozietät der beiden übernahm viele politische Fälle, die ihnen von der »Roten Hilfe« (RH) übertragen wurden. Die RH war einerseits eine KPD-Vorfeldorganisation, andererseits die wesentlichste Organisation, die sich für Belange linker politischer Angeklagter und Häftlinge einsetzte. Man war bemüht, mit Anwälten, deren politische Orientierung das Spektrum von liberal und kommunistisch abdeckte, zusammenzuarbeiten, allerdings ohne die Zügel aus der Hand zu geben. Wie viele linke Organisationen litt auch die RH ständig unter Finanzierungssorgen. Ein Grund, neben den unumgänglichen politischen Auseinandersetzungen, der immer wieder zu Zerwürfnissen zwischen der RH und ihren Anwälten führte. Die Kanzlei Barbasch/Litten war aber auch eine Art Familienbetrieb. Hier arbeitete u.a. der Vater von Ludwig Barbasch, aber auch Margot Fürst mit. Margot kam auch aus dem »Schwarzen Haufen«, hatte Hans Freund Max Fürst geheiratet und alle lebten in einer Art WG in der Koblankstraße, hinter der Volksbühne.

Gerichtsverhandlung mit Anwalt Litten. Foto: hans-litten.de

Litten wird heutzutage als Held gefeiert, viele kennen ihn beispielsweise als charismatischen Herren aus der Serie »Babylon Berlin«. Wie wurde seine antifaschistische Arbeit damals wahrgenommen?
Er war schon in den »Kameraden« aufgefallen, ich denke der Ruf eilte ihm nach Berlin voraus. Litten hat Beiträge in Ernst Friedrichs anarchistischer Zeitung »Die Schwarze Fahne« veröffentlicht und zusammen mit Max und Margot Fürst eine Jugendberatungsstelle eröffnet. Rudolf Olden hat in diesem Zusammenhang und für diese frühe Wahrnehmung Hans Littens in Berlin ein interessantes Zeugnis abgegeben (es findet sich in Irmgard Littens Buch). Bald folgten die Prozesse, also zuerst der Versuch Noske und Zörrgiebel vor Gericht zu bringen und die Beteiligung am Tribunal wegen der Ereignisse vom Mai 1929. Das wurde öffentlich stark wahrgenommen, auch in einem Berlin, das an Ereignissen nicht arm war. Spätestens mit dem Eden-Palast-Prozess fanden Littens Aktivitäten/Prozesse ein breites Echo in der Hauptstadtpresse von ganz links bis nationalsozialistisch.

In der DDR wurde Litten verehrt, aber selbst war er nie in der KP. Wie war seine politische Einstellung eigentlich?
Hier scheiden sich die Geister. Es ist gut möglich, dass er für kurze Zeit – etwa um 1923/24 – Mitglied der KPD war, diese dann aber wieder verlassen hat. Manchmal wird er als Anarchist beschrieben, aber ich denke, das wird ihm auch nicht gerecht. Er bewegte sich wohl im politischen Feld zwischen radikalen Sozialismus/Anarchismus und Kommunismus ohne sich darin festlegen zu lassen. Aber das »Politische« war eben auch nur ein Teil seiner Persönlichkeit. Emil Carlebach, Mithäftling in Dachau und linientreuer Kommunist, war sichtlich irritiert, als er Hans Litten im KZ kennenlernte und dieser ihm von »Engelwesen« erzählte. Das passte so gar nicht zu dem Bild, das er sich vom Feind Adolf Hitlers gemacht hatte.

Schaut man heute auf das Leben von Hans Litten, kommt man nicht umhin, ihm eine gewisse »Todesverachtung« zu unterstellen. Gibt es Zeugnisse, die neben seiner Selbstlosigkeit auch von Zweifeln oder Ängsten berichten?
Margot Fürst hat auch von seinen Ängsten erzählt. Ich weiß nicht, ob »Todesverachtung« der richtige Begriff ist. Ich sehe eher den Impuls »das einzig Richtige« tun zu wollen (und vielleicht auch zu müssen). Und dann in einer Zeit, in der das eben bedeutet hat, zunehmend mit Gewalt konfrontiert zu werden und sich dieser auch nicht entziehen zu können. Er war ja auch nicht der Einzige, der sich zumindest am Anfang – also um die Machtübernahme der Nationalsozialisten herum – zum Bleiben entschied. Der es noch für möglich hielt, dem etwas entgegenzusetzen. Aber er hat eben auch schnell erkannt, dass das eine vergebliche Hoffnung war. Selbst viele antifaschistische »Straßenkämpfer«, die eine gewisse Robustheit in Auseinandersetzungen mit den Nationalsozialisten nicht gescheut hatten, wurden mit einer Gewalt konfrontiert, der sie nichts entgegensetzen konnten. Was sollte da ein Anwalt tun, der als ausgemachter Feind der härtesten Gewalt unterworfen war? Die frühen Suizidversuche sprechen hier eine eigene Sprache. Wir wissen von dem missglückten Befreiungsversuch im Dezember 1933 durch die Fürsts und Felix Hohl. Das war wohl die letzte Möglichkeit überhaupt, das Leben Hans Littens zu retten. Nach den Erlebnissen in Buchenwald und der Ankunft in Dachau war ihm wohl endgültig klar, dass es keine Hoffnung mehr gab. Also jede Menge Platz und Zeit für Ängste. Und trotz der Angst: Es gab die Solidarität der Häftlinge, die Erziehungs- oder Bildungsversuche für jüngere Inhaftierte, es gab, wenn auch wenig, Hoffnung.

Gedenktafel in Berlin. Foto: Wikipedia.

Was hat Sie am besonders beeindruckt bei der Beschäftigung mit Litten?
Mein Eindruck von Litten wurde vor allem durch die Bekanntschaft mit Margot Fürst, Birute (Mop) Stern (Fürst) oder Nati Steinberger, die ihn alle kannten, vermittelt. Wobei Mop ja ein Kind war, als Hans starb, sie hat ihn zum letzten Mal gesehen, als sie 3 Jahre alt war. Trotzdem hat er alle geprägt. Selbstverständlich habe ich immer den Mut und die Konsequenz von Hans gesehen und bewundert. Aber gerade wenn ich die Briefe aus Zeiten des Jugendbundes las, stand da auch die Frage: »Spinnt der?« Dieses Überbordende in der Kritik an seinen Gegnern im Bund. Es ging uns ja nie darum, ein »Helden-Epos« zu schreiben, sondern jemanden in seiner ganzen Widersprüchlichkeit zu zeigen. Das geht natürlich in einem Litten-Bild, das nur den Eden-Palast-Prozess zeigt, vollkommen unter. Aber das ist auch OK, das steht ihm zu. ist Teil der der Reihe »Engagement & Demokratie in der jüdisch-deutschen Geschichte«.