Hermann Heller (1891–1933) war ein deutscher Staatsrechtler und Sozialphilosoph, der vor allem für seine Arbeiten zur politischen Theorie und zum Staatsrecht Anerkennung fand. Als entschiedener Gegner des Nationalsozialismus setzte er sich für die Demokratie und die Rechte des Individuums ein. Hellers Konzept des «demokratischen Sozialismus» verband sozialistische Ideen mit einer klaren Ablehnung autoritärer Strukturen. Trotz seines frühen Todes mit nur 42 Jahren hinterließ er ein intellektuelles Erbe, das nicht nur historisch relevant ist, sondern auch heute in der Krise der Demokratie zu Rate gezogen werden darf.
Der Jurist Thilo Scholle (1980) ist neben seiner Tätigkeit als Referatsleiter in einem Bundesministerium Publizist von Arbeiten zur Ideengeschichte der Arbeiterbewegung und Staatstheorie sowie Autor von einigen Büchern, wie beispielsweise die Monographien zu Paul Levi, Hugo Haase und Hermann Heller im Verlag Hentrich & Hentrich.
Lutz Vössing sprach mit Thilo Scholle über die vielschichtige Arbeit im kurzen Leben des Hermann Heller.
Wann sind Sie auf Hermann Heller gestoßen und was war ihr erster Eindruck?
Hermann Heller ist mir zunächst während des Jura-Studiums im von der Zeitschrift «Kritische Justiz» herausgegebenen Sammelband «Streitbare Juristen» begegnet. Damals habe ich ihn vor allem mit seinem Schicksal als aus Deutschland vertriebener Jude und Sozialdemokrat, und etwas allgemeiner als ein bedeutendes Beispiel für die «andere Tradition» eines sozialen Rechtsverständnisses wahrgenommen.
Aus was für einer Familie stammt Heller? Welchen Einfluss hatte sie auf seine politische Entwicklung?
Heller stammte aus Teschen, einer Stadt im damaligen Habsburger Reich, die heute an der Grenze zwischen der Slowakei und Polen liegt. Seine Eltern gehörten zum jüdischen Bürgertum, sein Vater arbeitete in der Stadt als Rechtsanwalt. Prägend war für Heller sicherlich die durch seine Eltern und das soziale Umfeld bewirkte tiefe Verankerung in deutscher Kultur- und Geisteswelt, die Heller zeitlebens bewahrte.
Weiß man, was er las, was ihn besonders beeindruckte?
Hellers persönliche Bibliothek ist leider nicht überliefert. In seiner politischen Bildungsarbeit legte er viel Wert darauf, der Arbeiterschaft Zugänge in den letztlich auch vom Bürgertum geteilten Kulturkanon zu ermöglichen. Mit Ideen etwa einer eigenen Literatur der Arbeiterbewegung schien Heller deutlich weniger anfangen zu können.
Wann begann seine Politisierung?
Hermann Hellers politisches Engagement begann mit Ende des Ersten Weltkriegs, als er erste Vorträge vor Betriebsräten zu zentralen Themen der neuen demokratischen Ordnung hielt. Bereits wenige Jahre später hatte er sich in der sozialdemokratischen Arbeiterjugend, aber auch darüber hinaus einen Namen als politischer Bildner und politisch-intellektuellen Orientierungspunkt gemacht.
Die Demokratie der Weimarer Republik war von Anfang an in einer Krise. Was war Hellers Standpunkt?
Heller gehörte von Beginn an zu den Unterstützern und Verteidigern der Republik. Während des Kapp-Putsches engagierte er sich auch ganz praktisch gemeinsam mit dem späteren Justizminister Gustav Radbruch in der Abwehr des Putsches. Und von Beginn an engagierte er sich intensiv in der Volkshochschulbewegung, erst in Kiel und dann in Leipzig. Für Heller war es für das Funktionieren von Demokratie zentral, dass die breiten Volksmassen auch das intellektuelle Rüstzeug für demokratische Beteiligung erhielten, und er leistete hier selber insbesondere mit Blick auf junge Menschen viel.

Sie meinten bereits, Heller fiel Ihnen auf als Vertreter der »anderen Tradition.
Wovon grenzte sich seine Tradition ab und was machte sie aus?
Heller steht in einer Tradition, die die Rechts- und Verfassungsordnung in erster Linie als Selbstorganisation der Gesellschaft sieht. Damit grenzt sich dieser Zugriff deutlich von hergebrachten Traditionslinien ab, die eher einen über und jenseits der Gesellschaft stehenden und der demokratischen Gestaltung letztlich nicht zugänglichen Staat als Ausgangspunkt ihres rechtlichen Denkens sahen. Für Hermann Heller war die Verfassungsordnung in erster Linie ein organisatorischer Rahmen, in dem die unterschiedlichen gesellschaftlichen Kräfte und Klassen miteinander konkurrieren, und letztlich auch immer wieder in einen Ausgleich gebracht werden können. Dabei war für ihn zentral, dass ein demokratischer Staat zudem seine Legitimation verlieren wird, wenn er nicht auch ein Mindestmaß an sozialer Homogenität seiner Bevölkerung sicherstellen kann.
Heller gehörte zum rechten Flügel der SPD. Warum ist das so?
Heller hatte keine Sozialisation in einer der Organisationen der Arbeiterbewegung hinter sich. Sein Zugang zu Sozialdemokratie basierte weniger auf eigenen Erfahrungen sozialer Ausgrenzung, sondern war vor allem vom Wunsch getragen, die junge Republik mit Leben zu füllen und zu verteidigen. Zudem lehnte er Internationalismus und historischen Materialismus als politisch-analytische Leitbegriffe ab, und bezog sich positiv auf die Nation als politischen Gestaltungsraum.
Wie sah seine Kritik an Marx und dessen Analysen und Werkzeugen aus?
Auf die ökonomische Analyse von Karl Marx hat Heller sich immer positiv bezogen. Was er ablehnte, war vor allem ein von Heller bei Marx wahrgenommener Determinismus mit Blick auf den Gang der gesellschaftlichen Entwicklung.
Was hatte er für einen Begriff von Nation?
Heller verstand Nation in erster Linie als eine Kulturgemeinschaft, die sich über die Jahrhunderte hinweg festigen, aber durchaus auch immer wieder neu bilden kann. Zugleich gibt es beim vor allem aus heutiger Sicht durchaus problematische Bezüge zu Vorstellungen einer «Blutsgemeinschaft» u.ä. Einem mit Vorstellungen von «Rasse» aufgeladenen Nationenbegriff konnte er aber nichts abgewinnen, der Zugang zur Nation blieb stets auch für Menschen «von Außen» offen.
Nun wird er beizeiten auch von rechtsextremen Theoretikern vereinnahmt, insbesondere in Bezug auf seine Schrift «Sozialismus und Nation» von 1925. Wie ist das zu beurteilen?
Zunächst ist das natürlich mit Blick auf Hellers persönliche Verfolgungsgeschichte während der NS-Diktatur geradezu schändlich. Aber auch inhaltlich wird es Heller nicht gerecht. Mit völkischem Denken hatte Heller nichts gemein. Hermann Heller hat sich zudem mit dem zeitgenössischen Faschismus intensiv auseinandergesetzt, und öffentlich sehr deutlich gegen den aufkommenden Nationalsozialismus Position bezogen. Letztlich geht es bei dem angesprochenen Versuch der Vereinnahmung eher um einen recht dreisten Versuch, mit Referenzen auf den verfolgten Juden und Antifaschisten Hermann Heller die eigenen aus einer ganz anderen Ecke stammenden politischen Positionen intellektuell zu legitimieren.
In der Rechtswissenschaft galt er hingegen als links und war somit Außenseiter. Wie ist das zu erklären?
Das galt zunächst beinahe schon aus formalen Gründen, da er zu den sehr wenigen Rechtswissenschaftlern der Weimarer Republik gehörte, die sich offen zur Sozialdemokratie und zur entschiedenen Verteidigung der Republik bekannten. Dann aber auch inhaltlich: Für Heller war klar, dass die bestehende kapitalistische Wirtschaftsordnung erstens kein Selbstzweck, und zweitens nicht das Ende der Geschichte bedeuten müsste. Im Gegenteil: Heller verwies darauf, dass soziale Ungleichheit der bürgerlichen Republik das materielle Fundament entziehen könnte, daher gerade das Bürgertum eigentlich ein Interesse an einer Weiterentwicklung der Weimarer Republik zur sozialen Demokratie haben müsste. Die Demokratie als Rahmen für eine Transformation der Gesellschaft hin zu einer anderen Wirtschafts- und Sozialordnung zu begreifen, stand weit jenseits der Vorstellungskraft der meisten Rechtsdenker seiner Zeit.

In welchem Verhältnis standen bei ihm Recht und soziale Gerechtigkeit?
Recht bot bei ihm den Rahmen für die Schaffung sozialer Gerechtigkeit. Das galt zum einen verfahrenstechnisch durch die Organisation eines demokratischen Staatswesens, das einen Rahmen für Aushandlungen über die weitere Entwicklung der Gesellschaft ermöglichte, und zum anderen auch durch die rechtliche Ausgestaltung einzelner gesellschaftlicher Bereiche, etwa der Wirtschaftsordnung.
Was war sein Konflikt mit Carl Schmitt?
Während der ersten Jahre der Weimarer Republik war sein Verhältnis zu Schmitt zunächst sogar eher freundlich. Ab Ende der 20er Jahre nahm Heller Carl Schmitt aber zunehmend als einen der Juristen des aufkommenden Faschismus war, und hat dies auch öffentlich artikuliert. In den Verhandlungen vor dem Reichsgericht über den «Preußenschlag» im Jahr 1932 standen sich beide dann auch als Prozessvertreter gegenüber – Heller für die preußische SPD-Landtagsfraktion, Schmitt als einer der Vertreter des Reiches. In Einträgen in Schmitts Tagebuch wird dabei ein auch auf Heller persönlich bezogener Antisemitismus sichtbar.
Beschränkte sich seine Arbeit auf die theoretischen Schriften oder trat er auch als Akteur im Arbeitskampf in Erscheinung?
Heller gehörte wenn man so will zu einer frühen Form des public intellectual der Arbeiterbewegung. Für die Jungsozialisten gab er Seminare, hielt Vorträge vor sozialdemokratischen Studenten, nahm an Debatten im Rundfunk teil. In der Schlussphase der Weimarer Republik trat er zudem vielfach auf Veranstaltungen zur Verteidigung der Republik auf, etwa beim Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold.
Warum ist er heute fast vergessen?
Völlig vergessen ist er zum Glück nicht. Aber seine wissenschaftliche Schaffenszeit umfasste nur gut 15 Jahre. Eine eigene rechtswissenschaftliche Schule konnte er nicht aufbauen, und durch seinen frühen Tod im spanischen Exil 1933 war ihm auch ein persönlicher Neustart nach Ende der NS-Diktatur unmöglich. Ein eigener Strang in der deutschen Rechtswissenschaft, der den Anspruch eines «sozialen Rechts» in den Mittelpunkt stellt, hat sich zudem meist nur abseits des Mainstreams entwickeln können.
Was kann man heute noch von ihm lernen?
Für Heller war zentral, dass Demokratie ihre Legitimation verlieren kann, wenn die gesellschaftliche Basis – etwa durch soziale Ungleichheit – erodiert. In der Folge war für ihn auch klar, dass keinen Bereich gesellschaftlicher Macht geben kann, der der demokratischen Gestaltung entzogen sein darf, etwa die Wirtschaftsordnung. Vor diesem Hintergrund bleibt Heller einer der Vordenker einer im Wortsinn sozialen Demokratie.
Text: Lutz Vössing
Dieser Beitrag ist Teil der der Reihe »Engagement & Demokratie in der jüdisch-deutschen Geschichte«.