Hugo Haase – Anwalt der Entrechteten und fast vergessener Jahrhundertpolitiker

Hugo Haase. Photo: LBI
Hugo Haase. Photo: LBI

Hugo Haase wurde als ältestes von 10 Kindern 1863 in Allenstein, im damaligen Ostpreußen (heute Olsztyn, Polen), geboren und genoss eine Ausbildung zum Rechtsanwalt. Als Gegner der Kriegskredite und charismatischer Redner machte er sich in der kurzen Zeit seiner politischen Arbeit einen Namen und wurde in der Weimarer Republik ein enorm einflussreicher Politiker. Heutzutage erinnert sich kaum jemand an den Sozialdemokraten, der in seiner sehr kurzen Amtszeit bis zu seiner Ermordung 1919 wichtige Entwicklungen angestoßen hatte.

Die Sozialdemokratie war zu seiner Zeit eine Art Glaubensgemeinschaft, die den Mitgliedern Würde zurückgab. Die gesamte deutsche Sozialdemokratie war ein großes Gebilde aus Parteiorganen wie Tageszeitungen, Gewerkschaften, Konsumgesellschaften und Kultur – und Haase war Teil davon, wie Dr. Karsten Krampitz erzählt. Vor dem Kriegsausbruch schrieb er einen Aufruf gegen den Krieg, war gegen die sogenannte „Verteidigung“ Deutschlands. Im Zuge der Auseinandersetzungen innerhalb der SPD um die Kriegskredite – die teilweise antisemitische Formen annahmen – wurde Haase zunächst aus der Fraktion geworfen und später als einer der zwei SPD-Vorsitzenden aus der Partei gedrängt. Gemeinsam mit 18 weiteren Mitgliedern gründete er 1917 die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD).

Krampitz ist promovierter Historiker, Journalist und Autor. 2009 war er Teilnehmer des Bachmannpreises, er veröffentlichte zahlreiche Arbeiten als Herausgeber und Autor unter anderem für Radio und die Bühne. Kürzlich erschien sein Buch „Pogrom im Scheunenviertel. Antisemitismus in der Weimarer Republik und die Berliner Ausschreitungen 1923“ (Verbrecher Verlag). 2019 veröffentlichte er für den Deutschlandfunk ein Feature über Hugo Haase, über den wir mit ihm sprachen.

FuF: Es scheint, Hugo Haase war ein wichtiger Politiker, doch nur wenigen Menschen ist er heute noch ein Begriff. Wer war dieser Mann?

Karsten Krampitz: Als er gestorben ist, war er der bekannteste Arbeiterführer. Er ist in einem Atemzug mit Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg genannt worden. Zu seiner Beerdigung kamen zigtausende Menschen. Er war für viele Menschen sehr, sehr wichtig.

Warum ist er heute so unbekannt?

Weil er sich immer in einem „Dazwischen“ befand. Er stand für das Versagen der SPD 1914, welches er angeprangert hat. Für die KPD stand er wiederum für die Zentristen oder auch Sozialpazifisten genannt. Er hat verhindert, dass sich die KPD rechtzeitig gründen konnte. So hatten beide Seiten – SPD und KPD – kein Interesse, an Hugo Haase zu erinnern.

Sein Projekt war die USPD.

Im Nachhinein wäre das Projekt USPD das Interessanteste von dem, was er schaffte. Da sind jeden Tag über tausend Leute eingetreten, sie hatten zum Schluss 870.000 Mitglieder. Es hat nie wieder eine linke Massenpartei von so einem Ausmaß gegeben, die auch noch solche Wahlergebnisse eingefahren hat. 1920 waren sie bei 17%. So viel hat nie wieder eine linke Partei in Deutschland bekommen.

Was macht seine Person in deinen Augen als Politiker so besonders?

Wir leben ja in einer Zeit, wo keine Revolution mehr zu erwarten ist. Der letzte Revolutionsversuch war im Spanischen Bürgerkrieg mit den Anarchisten. Letztendlich ist klar, dass eine Verbesserung der Verhältnisse nur durch eine Transformation auf sozialdemokratischem Weg möglich ist. Und wenn man sich jetzt die SPD anschaut, und dann auf die USPD schaut, dann sieht man: Es gab mal etwas anderes, andere Wege, die man nicht weiter ging. Und dafür steht Hugo Haase. Für einen Erzählstrang in der Arbeiterbewegung, der zu früh ein Ende gefunden hat.

Wo steht er da in dieser Erzählung?

Als er mit der USPD begann, war noch alles offen. Erst im dritten Kongress hat sich die USPD gespalten. Aber die Entwicklung hätte auch einen anderen Verlauf nehmen können. Er jedoch starb nicht als gescheiterter Mensch. Er hatte in vielen Punkten recht. Für ihn war Sozialismus noch mit Demokratie verbunden. Aber das Traurige ist ja, dass diese Begriffe im Laufe der Zeit getrennt wurden. Noch im 19. Jahrhundert war das eine Selbstverständlichkeit. Das allgemeine Wahlrecht ist eine eigene Forderung der Arbeiterbewegung. Irgendwann, mit den Bolschewiki, hat sich das dann getrennt, aber er hat daran festgehalten, dass Veränderung nur möglich ist, wenn du wirklich die Mehrheit der Menschen auf deiner Seite hast. Alles andere ist nur „Rumgeputsche“.

Er scheint ja auch sehr charismatisch und integer gewesen zu sein…

Wir haben ja keine Tonaufnahme, aber er war schon als Parlamentarier ein toller Redner. Seine Rede 1916, wo er so beschimpft wurde von den eigenen Leuten im Reichstag. Das war schon toll. Ein Stück Parlamentsgeschichte. Aber auch, dass die SPD den eigenen Co-Vorsitzenden aus der Fraktion ausschließt.

Hugo Haase bei einer Rede am Tempelhofer Feld. Foto: Niederländisches Nationalarchiv
Hugo Haase bei einer Rede am Tempelhofer Feld. Foto: Niederländisches Nationalarchiv

Was hast du während der Recherche zu ihm erfahren, das dich besonders beeindruckt hat?

Beeindruckt hat mich diese Warmherzigkeit. Für ihn war es eine Selbstverständlichkeit, Genossen umsonst zu verteidigen. Sowas hat man heute nicht mehr. Er hat nicht das große Geld gemacht, aber durch diese Unabhängigkeit war er auch nicht so im Parteiapparat wie Ebert verwachsen. Der hatte dann die ganzen Funktionäre der mittleren Ebene auf seiner Seite. Aber diese Warmherzigkeit, er hat seine Mandanten nach den Verhandlungen immer zu einem Kaffee und Kuchen eingeladen. Den hätte ich gern so kennengelernt. Heute hast du ja, auch in der Linken, nur diese Politunternehmer. Und ich glaube, das ist ja auch ein Grund für das heutige Übel, dass viele Leute die Karriere in der Partei als Mittel zum sozialen Aufstieg sehen. Hugo Haase war authentisch, bis zum Schluss.

Wie wurde er zu so einem Menschen?

Er kam aus einem jüdischen Elternhaus und er ist hat sich davon auch nie distanziert. Deutschland hatte nach dem ersten Weltkrieg – formal gesehen zu Beginn der Weimarer Republik – neben Friedrich Ebert mit Hugo Haase einen jüdischen Co-Regierungschef.

Hat das für ihn in seiner Art, Politik zu machen, eine Bedeutung gehabt?

Peter G. J. Pulzer hat mal angemerkt, dass dieser dem Judentum innewohnende Messianismus ein Grund dafür sei, dass sich so viele Juden am Anfang des 20. Jahrhunderts zu revolutionären Bewegungen hingezogen fühlten. Dieser Messianismus zeigt sich in einer Sehnsucht nach Erlösung und nach Gerechtigkeit – aber im Diesseits. Der Kommunismus, der „nach dem Christentum kam“, war ja auch eine Antwort darauf. Nur wurde die Heilserwartung eben ins Diesseits verlegt. Und deshalb war der Kommunismus auch so attraktiv für viele Leute. Juden haben eine ähnliche Ausgrenzung erlebt wie damals Arbeiter. Haase war kein großer Schreiber von theoretischen Schriften, er kämpfte einfach für die gesellschaftliche Gleichberechtigung, die weder sozial noch juristisch gegeben war.

War er ein Realpolitiker? Oder Idealist?

Er war ein Realpolitiker in der Hinsicht, dass das, was er wollte, real möglich war. Ihm wurde aber Idealismus vorgeworfen. Doch das, was er wollte, hätte alles klappen können: dass sie mit der USPD die SPD übernehmen, denn sie waren die unabhängige, die wahre SPD. Die waren kurz davor, die SPD zu überholen, in Stuttgart, Leipzig, Berlin. Das hätte so weitergehen können. Von anderer Seite ist ihm dann Idealismus vorgeworfen worden. Er ist sich einfach treu geblieben, würde ich sagen. Aber auf der anderen Seite hast du die Linksradikalen gehabt, die Kommunisten mit Verbindung nach Moskau, die irgendwann einfach Stalins Außenpolitikprogramm gemacht haben. Die USPD hatte eine ganz eigene Idee, und für die stand Haase.

Text: Lutz Vössing

Dies ist der erste Beitrag der Reihe »Engagement & Demokratie in der jüdisch-deutschen Geschichte«.