Judentum und Natur

Wie steht das Judentum zur Natur? Das LBI Jerusalem hat den vielfältigen jüdischen Sichtweisen auf Natur ein eigenes Forschungsprogramm gewidmet – und veröffentlicht die Erkenntnisse sowohl auf Hebräisch als auch auf Deutsch. Ein Interview mit Irene Aue-Ben-David, der Direktorin des LBI Jerusalem, zum jüdischen Naturverständnis.

„Denn der Jud und die Natur, das ist zweierlei.“ Das schrieb der jüdische Dichter Paul Celan 1959. Ist die jüdische Kultur der natürlichen Welt wirklich so fern?

In den religiösen Schriften gibt es Parallelen zu anderen Religionen, etwa ethische Anforderungen einer Verantwortung gegenüber der Natur, aber auch zu ihrer Nutzung als Ressource. Celans Gedanke kam wohl daher, dass viele deutschsprachige Jüdinnen und Juden Ende des 19. Jahrhunderts in Städten lebten, obwohl es zugleich ein ausgeprägtes Landjudentum gab. Sicherlich steckt auch etwas vom antisemitischen Motiv des „Luftmenschen“ darin, dem wurzellosen Juden. Was sich sagen lässt, ist, dass eine ausgeprägte Gartenästhetik im Judentum fehlt, stattdessen steht der Nutzgarten im Vordergrund. Diese Sicht auf Natur spielte auch im frühen Zionismus eine wichtige Rolle.

Inwiefern war dieser funktionale Gedanke für den Zionismus bedeutend?

In den 30er-Jahren musste eine vorbereitende landwirtschaftliche Ausbildung absolvieren, wer ein Visum für Palästina bekommen wollte. Diese wurde als notwendig erachtet für den Aufbau des neuen Landes und überall in Zentraleuropa angeboten. Das hat die Beziehung zur Natur in Israel stark geprägt. Künstler wie Hermann Struck haben sich zudem an den Landschaften und der Natur der neuen Heimat abgearbeitet.

Weshalb haben Sie beschlossen, das Thema Natur am LBI Jerusalem so umfassend zu erforschen?

Wir haben den „spatial turn“ in den Geschichtswissenschaften, also die Frage des Raums in der Zeit, zum Anlass genommen, durch das Prisma der Natur neue Blicke auf die deutsch-jüdische Geschichte zu werfen. Und wir wollten die Umweltgeschichte selbst durch den jüdischen Blick bereichern. Dafür haben wir eine Konferenz organisiert und fördern mit der Wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft des LBI (WAG) die Forschungsgruppe „Jewish European Environmental History“, die jüdische Sichtweisen über zeitliche und globale Räume hinweg betrachtet.

Verstehen Sie Ihr Institut auch als Mittler zwischen Deutschland und Israel?

Ja, unser Jüdischer Almanach ist eine Brücke zurück nach Deutschland. Er vereint Aufsätze zu kulturellen, religiösen und gesellschaftlichen Themen, in deutscher Sprache. Wir sehen es aber genauso als wichtige Aufgabe an, deutsche Quellen in Israel zugänglich zu machen. Zum Beispiel haben wir Schriften der orthodoxen jüdischen Feministin Bertha Pappenheim übersetzt. Von ihr gab es keinen einzigen Text auf Hebräisch. Feministische Gruppen in Israel können sich diese jüdische Tradition nun erstmals erschließen. Damit schaffen wir einen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Mehrwert. Genauso ist es beim Thema Natur.

JÜDISCHER ALMANACH BEI SUHRKAMP ↗

Mountain range, Gemälde von Hermann Struck, 1936, Archiv des LBI New York.
Mountain range, Gemälde von Hermann Struck, 1936 – © LBI New York | Berlin