Porträt-Aufnahme von David G. Marwell

David G. Marwell

PRÄSIDENT

LBI NEW YORK | Berlin

Interview und Text:
Dr. Raphaela Kitzmantel
Oktober 2022

David G. Marwell sieht seine Rolle darin, andere neugierig zu machen auf vergangene Zeiten und Entscheidungen, die bis heute nachwirken, damit sie eine Sensibilität für das entwickeln, was rund um sie geschieht.

 

EIN PORTRÄT

Das Reisen zu Studienzwecken und die Begegnung mit Zeitzeugen hat David Marwell, geboren im Jahr 1951, seit Beginn seiner Karriere intensiv betrieben. Der gebürtige Amerikaner mit Vorfahren aus dem baltischen Raum und Polen hat sich im Laufe seines Berufslebens stets das Ziel gesetzt, geschichtlich relevante Ereignisse und Handlungen Einzelner zu entdecken und zu dokumentieren, um sie der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Erst im Januar 2020 (und in Deutschland im März 2021) brachte David Marwell den internationalen Bestseller über NS-Verbrecher Josef Mengele heraus, nun arbeitet er schon am nächsten Buchprojekt: Es handelt von Robert Feix, jenem österreichischen Entrepreneur, der mit dem Geliermittel Pektin für Marmeladen im Jahr 1928 das bald darauf florierende Unternehmen „Opekta“ gründete. Geschäftsführer der Niederlassung in Amsterdam war Anne Franks Vater Otto. Die Recherchen über die bewegende und faszinierende Geschichte des Feix, der unter nationalsozialistischer Herrschaft inhaftiert war, führen Marwell dieser Tage unter anderem nach Innsbruck, wo heute noch Familienangehörige von Robert Feix leben.

Der Geschichte auf der Spur scheint David Marwell in unterschiedlichen Kontexten Zeit seines Lebens gewesen zu sein: Neun Jahr lang widmete sich der studierte Historiker (Brandeis und Binghamton University) im „U.S. Department of Justice. Office of Special Investigations“ in Zusammenarbeit mit internationalen Geheimdiensten und Staatsanwaltschaften mit seiner historischen und forensischen Expertise der Ermittlung von Kriegsverbrechern, wie beispielsweise Klaus Barbie oder Josef Mengele. Als er anschließend im Jahre 1988 Direktor des, eigens zur Vorbereitung auf die „Nürnberger Prozesse“ gegründeten „Berlin Document Center“ wurde, machte dies Marwell nunmehr unvermutet selbst zu einem Zeugen zeitgeschichtlich bedeutsamer Ereignisse: Der Fall der Berliner Mauer 1989 und der endgültige Abzug der letzten Alliierten 1994 fielen in seine Zeit vor Ort. Die von Marwell auf Mikrofilm gefertigten Kopien ergingen mit deutscher Zustimmung an die „National Archives in Washington“, wo sie von jeher unabhängig von deutschen Datenschutz-Regulierungen einsehbar waren; ein für alle Seiten befriedigender Ausgang der Dokumentationsbemühungen.

Wieder zurück in Amerika, stellte David Marwell seinen reichem Erfahrungsschatz in der Aufarbeitung der zeitgeschichtlichen Ereignisse der Öffentlichkeit abermals zur Verfügung: Zunächst als Direktor des „Assassination Records Review Boards“, das die Ermordung des amerikanischen Präsidenten Kennedy untersuchte. Von 1997 bis 2000 als Associate Direktor des U.S. Holocaust Memorial Museums in Washington, anschließend als Direktor des Museums of Jewish Heritage in New York bis 2015.

Marwell sieht seine Rolle darin, die Besucher und Besucherinnen dieser wichtigen Institutionen neugierig zu machen auf vergangene Zeiten und Entscheidungen, die bis heute nachwirken, damit sie eine Sensibilität für das entwickeln, was rund um sie geschieht. Es gehe, so Marwell, um die Entwicklung der eigenen inneren Stimme und darum, auf sie zu vertrauen, um ein guter Bürger, eine gute Bürgerin in einer aufrechten Demokratie zu sein. Vielleicht ist es ja kein Zufall, dass Marwell in Studienzeiten eine Zeitlang den Wunsch verspürte, Filmregisseur werden zu wollen, erreicht man doch mit diesem Medium besonders viele Menschen.

Was hat David Marwell dazu angetrieben, sein Leben dem Aufspüren von Straftätern und der Dokumentation von Verbrechen, der Vermittlung von Geschichte zu widmen – ohne letztlich sicher sein zu können, ob die Welt dadurch jemals ein Stück weit gerechter wird? Die Verwüstungen des Holocaust, die zweifellos auch Opfer aus seiner Großfamilie betrafen – auch wenn er ihre Namen nicht kennt -, haben sicherlich eine Rolle gespielt. David Marwell, wie seine Eltern und Großeltern in Amerika geboren, traf seinen Mentor, der ihm bewusst machte, dass Geschichtswissen zu Aufklärung – vielleicht teilweise gar zur Vermeidung – von Katastrophen führen kann, in einem Professor an der Universität. Es sind einzelne Menschen, die so viel bewegen können!