Leo Baeck

WER WAR LEO BAECK?

Leo Baeck gilt als Symbolfigur und Brückenbauer der deutsch-jüdischen Kultur und ist Namensgeber des 1955 gegründeten Leo Baeck Instituts. Er ist einer der bedeutendsten Repräsentanten des deutschen Judentums und war eine Leitfigur für die verfolgten Jüdinnen und Juden während der Zeit des Nationalsozialismus.

Unterschrift Leo Baeck
Porträt-Bild von Leo Baeck. Ein Mann mit Brille, Haarkranz und weißem Bart.
Porträt Leo Baeck– LBI Jerusalem © Foto: Laelia Goehr

Der 1873 in Posen geborene Rabbiner wurde zuerst durch seine theoretischen Schriften bekannt, später entwickelte er sich dann zu einem der wichtigsten Vertreter des deutschsprachigen Judentums.

1933 wurde Baeck zum Präsidenten der Reichsvertretung der deutschen Juden ernannt. In dieser Position setzte er sich für die nächsten zehn Jahre intensiv für die bedrohten Jüdinnen und Juden in Deutschland ein. Er half zahlreichen Menschen bei ihrer Flucht ins rettende Ausland, lehnte aber selbst jede Möglichkeit ab, Nazi-Deutschland zu verlassen, um bei seiner Gemeinde zu bleiben. 1943 wurde Baeck schließlich in das Ghetto Theresienstadt deportiert.

Schwer misshandelt überlebte Baeck das Ghetto und emigrierte 1945 nach London, wo er seine Forschungstätigkeit wieder aufnahm und sich für den jüdisch-christlichen Dialog engagierte.

Als führende Intellektuelle 1955 ein Institut zur Erforschung und Erinnerung des deutschsprachigen Judentums gründeten, wählten sie Leo Baeck als Namenspatron und erkoren ihn zum ersten Präsidenten des neuen Leo Baeck Instituts. Baeck füllte diese Rolle ein Jahr lang aus, bevor er 1956 verstarb.

Leo Baeck kam 1873 in Lissa (Leszno) im heutigen Polen auf die Welt, wo er in einer überwiegend deutschsprachigen Gemeinde aufwuchs. Baeck hatte vier Schwestern und trat als einziger Sohn der Familie in die Fußstapfen seines Vaters und Großvaters, als er beschloss, Rabbiner zu werden.

Baeck studierte am Rabbinerseminar in Breslau und besuchte gleichzeitig Philosophievorlesungen an der Universität. 1894 zog er nach Berlin und setzte seine Ausbildung an der wesentlich liberaleren Hochschule für die Wissenschaft des Judentums fort. Dort promovierte er mit einer Arbeit über den Philosophen und Religionskritiker Baruch de Spinoza.

1895 ging der junge Rabbiner nach Schlesien, wo er für zehn Jahre der jüdischen Gemeinde in Oppeln (heute Opole) vorstand. Während dieser Zeit heiratete Baeck Nathalie Hamburger und beschäftigte sich weiterhin intensiv mit Philosophie. 1905 veröffentlichte er sein Hauptwerk Das Wesen des Judentums – eine kritische Antwort auf das antisemitische Buch Das Wesen des Christentums des bedeutenden christlichen Theologen Adolf von Harnack.

Von Oppeln ging es für fünf Jahre nach Düsseldorf. 1912 wurde Leo Baeck schließlich Rabbiner der neu errichteten Synagoge in der Fasanenstraße in Berlin – ein Amt, das er die nächsten dreißig Jahre innehaben sollte.

Obwohl Baeck heute vor allem für sein politisches Engagement bekannt ist, wird er in der neueren Forschung als einer der vier großen jüdischen Philosophen bezeichnet – neben Hermann Cohen, Franz Rosenzweig und Martin Buber.

Als Rabbiner engagierte sich Baeck in führender Position in zahlreichen jüdischen Organisationen und hielt auch Vorlesungen an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums. Rasch entwickelte er sich zu einem der führenden Vertreter des liberalen Judentums in Deutschland. Gleichzeitig genoss Baeck auch Ansehen in orthodoxen Kreisen und initiierte einen jüdisch-christlichen Dialog, was sein Geschick zeigt, zwischen unterschiedlichen Gruppen zu vermitteln.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 schlossen sich zahlreiche jüdische Organisationen zur Reichsvertretung der deutschen Juden zusammen, in der Hoffnung so besser auf antijüdische Gesetze und Maßnahme reagieren zu können. Leo Baeck wurde wegen seines hohen Ansehens einstimmig zum Vorsitzenden gewählt.

Unter zunehmend schwierigen Bedingungen setzte sich Baeck für die deutsch-jüdische Bevölkerung ein. Er unternahm zahlreiche Auslandsreisen, um auf deren Situation aufmerksam zu machen, initiierte Hilfsprogramme und versuchte, so vielen Jüdinnen und Juden wie möglich bei der Emigration zu helfen.

Immer wieder erhielt der Rabbiner Angebote ins Ausland zu fliehen, er lehnte diese jedoch jedes Mal ab. Solange es ihm möglich war, wollte er alles tun, um den in Deutschland verbliebenen Jüdinnen und Juden beizustehen.

Im Januar 1943 deportierten die Nationalsozialisten Leo Baeck in das Ghetto Theresienstadt. Dort wurde Baeck Mitglied des Ältestenrats und setzte sein seelsorgerisches und kulturelles Engagement fort. Seine Predigten und Vorträge gaben vielen Menschen den Mut und die Hoffnung, durchzuhalten.

Schwer misshandelt überlebte Baeck das Ghetto, das im Mai 1945 von der Roten Armee befreit wurde. Drei seiner vier Schwestern waren von den Nationalsozialisten ermordet worden. Nach Kriegsende emigrierte Leo Baeck nach London, wo seine Tochter Ruth bereits seit einigen Jahren lebte.

In den Nachkriegsjahren übernahm Baeck zahlreiche Lehraufträge an Universitäten in England und Amerika. Als Präsident des neugegründeten Council of Jews from Germany (Rat der Jüdinnen und Juden aus Deutschland) setzte er sich für die Restitution jüdischen Eigentums ein, gleichzeitig war er Präsident der Weltunion für progressives Judentum. Ab 1948 engagierte sich Baeck erneut – und trotz seiner Erfahrungen der letzten Jahre – im jüdisch-christlichen Dialog.

1953 verlieh Bundespräsident Theodor Heuss das Große Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland an Leo Baeck. 1955 benannte eine Gruppe emigrierter Intellektueller – darunter Hannah Arendt, Martin Buber und Gershom Scholem – ihr neu gegründetes Forschungs-und Erinnerungsinstitut des deutschen Judentums nach Leo Baeck. Baeck wurde der erste Präsident des LBI, verstarb aber bereits ein Jahr später.

Heute gibt es neben den drei Leo Baeck Instituten weltweit zahleiche Schulen, Synagogen und Gemeindezentren, die nach ihm benannt sind. Seit 1956 vergibt der Zentralrat der Juden in Deutschland jährlich den Leo-Baeck-Preis an Personen, die sich für die jüdische Gemeinde in Deutschland eingesetzt haben. Zu den letzten Preisträger*innen zählen Angela Merkel und Cem Özdemir.

Texte von Lilly Maier

„Man kann die Geschichte begreifen, nur wenn man in den Glauben eingedrungen ist, und man kann den Glauben verstehen, nur wenn man auch die Geschichte erfaßt.“

Leo Baeck: Gerechte und Engel (1930), in Albert H. Friedländer et al. (Hrsg.): Werke 4, S. 221.

CHRONIK

23. Mai: Geburt in Lissa (Leszno/ Polen)

1873

Besuch des Königlichen Comenius-Gymnasiums in Lissa

1881–1890

Eintritt in das Jüdisch-Theologische Seminar und Studium an der Universität Breslau (Wrocław/ Polen)

1891–1893

27. Mai: Promotion mit einer Dissertation über Spinozas erste Einwirkungen auf Deutschland

1895

Rabbinatsexamen an der Lehranstalt und Ordination zum Rabbiner und Antritt einer Rabbinatsstelle in Oppeln (Opole/ Polen)

1897

3. Oktober: Eheschließung mit Natalie Hamburger

1899

Baeck veröffentlicht Das Wesen des Judentums

1905

Rabbiner in Düsseldorf

1907–1912

27. Dezember: Amtseinführung in Berlin

1912

Baeck verlässt Berlin und geht als Feldrabbiner an die Front

1914–1918

Wahl zum Vorsitzenden des Allgemeinen Rabbinerverbands in Deutschland

1922

Vorsitzender der Zentralwohlfahrtstelle der deutschen Juden

1924

12 Februar: Präsident der Reichsvertretung der Landesverbände deutscher Juden

17. September: Präsident der Reichsvertretung der deutschen Juden

1933

5. März: Tod seiner Frau Natalie

1937

Präsident der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“

1939

27. Januar: Baeck wird nach Theresienstadt deportiert

August: Baeck erfährt von den Vernichtungslagern

13. Dezember: Baeck übernimmt den Vorsitz im Ältestenrat

1943–1944

1. Juli: Baeck verlässt Theresienstadt

1945

Neben seinen repräsentativen Funktionen (u.a. Präsident des Council of Jews from Germany in London, Präsident der World Union for Progressive Judaism) beginnt Baeck eine umfangreiche Lehrtätigkeit an verschiedenen Universitäten in Europa und in den USA.

1948-1956

Gründung des Leo Baeck Instituts

1955

2. November: Leo Baeck stirbt in London.

1956
aus: Michael A. Meyer: Leo Baeck. Rabbiner in bedrängter Zeit, München: C.H.Beck, 2021, S. 312–316.

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