Fotobücher haben das jüdische Selbstverständnis im 20. Jahrhundert entscheidend mitgeprägt. Der Historiker Steven Weiss Samols erforscht jüdische Perspektiven auf Außenseitertum und einschneidende Ereignisse der jüdischen Geschichte. Er ist einer von insgesamt 167 Leo Baeck Fellows des LBI London und der Studienstiftung des deutschen Volkes.
„Die Kinder müssen draußen lachen. Geschäft ist Geschäft.“ – So schreibt Felix Salten in dem kleinen Büchlein „Wurstelprater“ von 1912 mit 75 Fotografien von Emil Mayer. Der jüdische Schriftsteller Salten, der später mit „Bambi“ weltberühmt werden sollte, und der Fotograf Mayer fangen das Treiben auf dem Wiener Prater und damit das Leben in der Moderne ein – und seine Außenseiter. „Dort am Rande der Straße, an die Planken gelehnt, auf Prellsteinen sitzend, lungern immer Menschen“, schreibt Salten, „den ganzen lieben Tag.“
„Die Bilder vom Prater transportieren ein jüdisches Gefühl von Außenseitertum in einer Phase der Akkulturation im Wien der Kaiserzeit“, sagt der Historiker Steven Weiss Samols, der an der University of Southern California promoviert. „Für mich liegt in diesem Büchlein der Ursprung des modernen Fotobuchs, das mit Fotoessays Geschichten erzählt und deutliche jüdische Wurzeln hat.“ Anhand von fünf Fotobüchern zeichnet er die Evolution dieses Mediums und die visuelle Geschichte deutsch-jüdischer Identität von 1912 bis in die 70er-Jahre nach.
Die Bände zeigen entscheidende Momente: das Getto in Vilnius in den 20er-Jahren, das Grauen des Holocaust, die Gründung Israels und Sigmund Freuds Wohnung im Wien der 70er-Jahre – als Ort des Erinnerns an das Fehlen der jüdischen Bevölkerung. „Die Bücher gingen an jüdische Haushalte überall auf der Welt und waren Vorlage für spätere Publikationen, Filme und Ausstellungen“, sagt Samols. „Sie haben das kollektive Bild deutsch-jüdischer Geschichte maßgeblich geprägt und auf visuelle Weise Geschichte geschrieben.“
Samols ist einer von 167 Doktorand*innen, die seit 2006 das internationale Leo Baeck Fellowship des LBI London und der Studienstiftung des deutschen Volkes erhalten haben. „Das hat mir ermöglicht, meine Forschung wichtige Schritte voranzubringen“, sagt Samols. In zwei Workshops im Rahmen des Leo Baeck Fellowship Programms hat er sein Thema präsentiert und mit anderen Fellows diskutiert. „Es ist ein tolles Netzwerk, in dem ich mich weiterhin austausche.“ Seine Erkenntnisse konnte er auch im renommierten Londoner LBI Year Book veröffentlichen.
Das umfangreiche Archivmaterial des LBI, das via Digibaeck online einsehbar ist, war für den Historiker enorm hilfreich. „Es ist eine unglaublich wichtige Quelle für Bildmaterial und biografische Studien, auch über die Emigration hinaus“, sagt Samols. „Ich habe damit zeigen können, wie kraftvoll Fotobücher sich auf unsere Vorstellung von Geschichte auswirken.“